Leere Hände

Die Tür geht auf, das Gesicht knochig, ausgezehrt. „Lange auf der Straße gewesen“, so die erste kurze Antwort auf meine Frage nach dem Woher? Krank, Krebs im Endstadium und heute nichts zu essen. Wer von der Straße kommt, trägt tiefe Spuren an sich

 

Die Tür geht auf, ein kleines Mädchen, eine Frau, ein Mann, Verwandte des alten Mannes. Sie begleiten ihn, sie wissen, er lebt nicht mehr lang, die Wohnung ist eng aber sie nehmen den Vater bei sich auf. Haben selbst Schulden, das Geld ist knapp, aber „wir sind ja froh dass wir wieder Kontakt zum Vater gefunden haben“.

 

Die Tür geht auf und zusammen setzen wir uns an den Tisch, die Hand geht auf – ist leer. Die Geschichte traurig, lang, mit vielen Fragen – viele bleiben offen.

 

Aufgrund der Erkrankung braucht der alte Mann Medikamente, er bezahlte die Praxisgebühr, er bezahlte den Eigenanteil in der Apotheke – Befreiung im bisherigen Sinne, gibt es nicht mehr. Er bekommt 9.90 EURO täglich und 10 EURO bleiben in der Arztpraxis für die Krankenkasse liegen.

 

Eigenverantwortung fordert der Staat, vorausschauende Planung, die bei einer knappen Kasse nicht gelingen kann – da kommt immer etwas dazwischen.

Unsere Gesellschaft verabschiedet sich im Augenblick vom Gedanken der Solidarität. Zunehmend werden Menschen von der Seite schief angeschaut, wenn sie solidarisches Handeln einfordern. Wir sind alle gefordert, unser Christsein in dieser Welt ist gefordert, mutig auszusprechen, was eigentlich einen Selbstverständlichkeit ist, der Starke trägt den Schwachen – und nicht umgekehrt. Zachäus sagt: Herr, die Hälfte meines Vermögens will ich den Armen geben, und wenn ich jemand betrogen haben, so will ich es ihm vierfach zurückgeben. Mich hat dieser starke Satz, der Veränderung wagt, erneut wachgerüttelt, als ich den armen alten Mann am Tisch in der Diakonischen Bezirksstelle Brackenheim bei mir sitzen hatte.

 

Die Tür geht auf, eine andere Welt tritt in meinen Alltag

Wie kann ich Fehler und Schuld entschuldigen?

Neu anfangen kann ein Du nur, wenn es ein versöhnendes Wir gibt.

Gott macht ein Wir und meine leere Hände werden gefüllt indem ich sie nur öffne

auch dem Unverständlichen, dem Fremden, dem Haltlosen.

 

Matthias Rose, Diakon und Sozialarbeiter                                                         Impuls zu Lukas 19, 8

 

 

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