Gott begegnen – drei Grunderfahrungen
(nach: Karlfried Graf Dürckheim, Vom doppelten Ursprung des Menschen)

Begegnungen mit Gott sind Erfahrungen, die wohl jedem von uns irgendwann einmal zuteil wurden, auf die wir aber meist nicht vorbereitet sind und die wir darum in ihrer Bedeutung nicht erkennen und wieder vertun. Es sind beglückende Augenblicke der Befreiung, oft hervorgehend aus uns an die Grenze treibender größter Not. Und eben diese "Grenzsituationen" können, wo der Mensch über die Schwelle tritt, die Begegnung mit dem bringen, was "jenseits" ist.Den drei Grundnöten des Menschen entsprechend gibt es drei Grunderfahrungen Gottes, deren Bewusstwerden uns schlagartig aus der Weltnot befreit.

"In der Welt haben wir Angst ...", aber so mancher hat es erfahren, wenn der Tod ganz nahe war, z.B.: in Bombennächten, in schwerer Krankheit oder in anderen Lagen drohender Vernichtung, wie gerade in dem Augenblick, in dem die Angst ihren Höhepunkt erreichte, der Tod unausweichlich war und endlich die natürliche innere Abwehr zusammenbrach, dass er, wenn er sich jetzt freiwillig unterwarf und vielleicht nur für den Bruchteil einer Sekunde die für den natürlichen Menschen unannehmbare Situation annahm (also vom Ich her gesehen, das immer "bleiben" will, eine völlig paradoxe Handlung beging), - dass er schlagartig ganz ruhig wurde, unversehens von aller Angst befreit, und spürte, ja mehr, mit einemmal wusste, dass etwas in ihm da und lebendig ist, an das kein Tod und keine Vernichtung herankommt, ja mit dem, was in der Welt "Tod" heißt, überhaupt nichts zu tun hat. Für einen Moment war es ihm klar: "Wenn ich je hier wieder herauskomme, dann weiß ich ein für allemal von woher und auf was hin ich zu leben habe." Der Mensch weiß nicht, was es ist, das er da erlebt hat, wer es ist, als den er sich für einen Augenblick erfuhr, aber er fühlt sich plötzlich ein anderer und in einer anderen Kraft. Er weiß nicht, woher, und weiß nicht, wozu. Er weiß nur: Ich stehe in einer unvernichtbaren Kraft. Hier wurde der Mensch vom Sein angerührt. Es trat in sein Innesein.
Gott konnte Innesein werden, weil das natürliche Ich nachgab und das Gehäuse zerbrach, darin er sich selbständig eingerichtet, damit aber zugleich dem Sein gegenüber verstellt hatte.

Die zweite Grundnot dieses Lebens liefert das Absurde, das schlechthin Widersinnige, das den Menschen über die Grenze ertragbarer Verzweiflung hinausdrückt und an die Grenze des Wahnsinns bringt. So beispielsweise dort, wo ein Mensch unmenschlich behandelt wird und sich nicht wehren kann, wo er ein Maß an Ungerechtigkeit erfährt, das unerträglich geworden ist. Auch hier kann es das vom Natürlichen her paradoxe Ereignis geben, dass der Mensch einmal tut, was er von seinem gewöhnlichen Standort nicht kann: dass er nämlich still wird und die ganze Widersinnigkeit seiner Situation in sich hereinlässt und aushält, vielleicht nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dann hat es mancher erfahren, dass in dem Augenblick, als er still wurde und "ja" sagte zur sinnwidrigen, aber unabwendbaren Situation, ihm plötzlich ein tieferer Sinn aufging, ein Sinn, der nichts mehr zu tun hat mit Sinn und Unsinn dieser Welt. Mit einemmal fühlte sich der Mensch in eine unbegreifbare Ordnung gestellt. Klarheit durchleuchtet ihn. Er kann nicht sagen, Klarheit durch was, über was oder wozu. Es ist ganz unerklärbar, aber der Mensch steht ganz einfach "in einer überweltlichen Klarheit" wie vordem "in einer überweltlichen Kraft".

Es gibt noch eine dritte Gotteserfahrung von gleichem Rang, dort nämlich, wo der Mensch in totale Einsamkeit geworfen wird – etwa durch den Verlust des nächsten Lebensgefährten, durch Ausstoßung aus seiner Gemeinschaft u.a. – und in eine Traurigkeit fällt, die das ihm mögliche Maß ertragbarer Trostlosigkeit überschreitet. Wenn es ihm dann geschenkt wird, das Unvollziehbare zu vollziehen, also still zu werden und die ganze übermenschliche Trostlosigkeit in sich hereinzulassen  und sich, vielleicht nur für einen Augenblick, der Wirklichkeit, so wie sie ist, zu unterwerfen, dann kann es geschehen, dass er sich plötzlich aufgefangen fühlt wie von unsichtbaren Armen, von einer Liebe umfangen und in einem Geheimnis geborgen, ohne dass er sagen könnte, wer ihn liebt oder wen er liebt. Er befindet sich einfach, wie vordem in einem Zustand der Klarheit, so nun in einer überweltlichen Liebe geborgen und ist damit eines überweltlichen Seins teilhaftig geworden, das alle seine bisherigen Daseinsvorstellungen in sich aufhebt und übersteigt.

Pfr. Matthias Walch, Nordheim