Wo dein Schatz ist ... !

„Es lebte einst ein armer Schuster, der war so glücklich, schatzdass er den gan­zen Tag von morgens bis abends bei seiner Arbeit sang. Die Kinder stan­den, wann immer sie konnten, vor seinem offenen Fenster und sahen und hörten ihm zu. Neben dem Schuster wohnte ein sehr reicher Mann. Der war so unglücklich. Tagsüber konnte er nicht schlafen, weil er den Schuster singen hörte. Nachts konnte er nicht schlafen, weil er sein Geld zählen und wieder verbergen musste.

Eines Tages lud er den Schuster zu sich ein und schenkte ihm einen Beutel voll Goldstücke. Nie in seinem Leben hatte der Schuster soviel Geld gesehen. Es war so viel, dass er Angst hatte, es aus den Augen zu lassen. Darum nahm er es mit ins Bett. Auch dort musste er immer an das Geld denken und konnte nicht einschlafen. So trug er den Beutel auf den Dachboden. Früh am Morgen holte er ihn wieder herunter, denn er hatte beschlossen, ihn im Kamin zu verstecken. „Ich bringe das Geld lie­ber ins Hühnerhaus", dachte er etwas später. Aber damit war er auch noch nicht zufrieden. Nach einer Weile grub er ein Loch im Garten und legte den Geldbeutel hinein. Zum Arbeiten kam er nicht mehr. Und sin­gen konnte er auch nicht mehr. Und was am schlimmsten war, die Kinder kamen ihn nicht mehr besuchen. Zuletzt war er so unglücklich und ein­sam, dass er den Beutel wieder ausgrub und damit zu seinem Nachbarn lief. „Bitte, nimm dein Geld zurück", sagte er. „Die Sorge darum macht mich ganz krank: So wurde der Schuster bald wieder vergnügt und sang den ganzen Tag bei seiner Arbeit."

An diese Geschichte musste ich denken, als ich den Monatsspruch für diesen September las. „Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz", Lukas 12,34.

Wie ist das mit dem Schatz und dem Herz? Es ist ganz natürlich, dass, wenn wir etwas Kostbares besitzen, unser Herz daran hängt. Bezeichnend finde ich jedoch, dass Jesus mit diesem Satz seine Ausführungen über das „sich Sorgen machen" und das „sich zersorgen" abschließt.

Wie schnell hängen wir unser Herz an irdische Dinge und diese nehmen unser Denken immer mehr für sich in Anspruch. Ganz rasch stehen wir in der Gefahr, dass sich unser ganzes Leben nur noch um das Anhäufen und Erhalten irdischer Schätze dreht. Und es geht uns dann, in der Tat, wie dem Schuster in unserer Geschichte: Wir werden nicht fröhlicher, sondern immer unglücklicher.

Jesus zeigt eine andere Alternative auf: „Macht euch einen Schatz im Himmel" (V. 33). Dieser »Schatz« ist dann „unerschöpflich", ihn stiehlt „kein Dieb", „ihn zerfrisst keine Motte". Was ist das für ein Schatz? Die jüdi­schen Weisheitslehrer verstanden darunter einen Schatz „guter Werke", der durch Wohltaten an anderen angehäuft wird. Auch bei Jesus wer­den die guten Werke nicht verachtet. Aber das Wesentliche liegt woanders. Entscheidend ist nämlich die Aus­richtung auf Gott und der Glaube an Jesus. Das ist es, was „im Himmel" zuerst zählt. Und wenn dies vorhanden ist, dann kommen die Wohltaten an anderen so selbstverständlich wie Früchte an einem gesunden Baum. Darum geht es Jesus.

Und das bestätigt unser Monatsspruch. Klar, dass das Herz an Schätzen hängt! Ist es also ein Schatz im Himmel, dann hängt das Herz am Himmel, d.h. am dreieinigen Gott. Ist es aber ein Schatz auf Erden, dann hängt es an der Erde, d.h. am irdi­schen Besitz.

Orientierung am liebenden Gott - oder Orientierung am Ir­dischen: das ist die Alternative, vor die uns Jesus stellt. Doch was heißt das nun praktisch, „einen Schatz im Himmel haben"? Nun, es  bedeutet zuerst eine schier unglaubliche Freiheit von der Lebensangst. Der Mensch, der Jesus Christus begegnet ist, kann mit seiner Furcht  und Sorge fertig werden. Aber Furchtlosigkeit heißt nun nicht Lethargie, nicht Resignation, nicht Bequemlichkeit. „Einen Schatz im Himmel haben" heißt durchaus: im Getümmel stehen, handelnd, Partei ergreifend, aber zugleich wissend,  Auseinandersetzung, Leistung, Karriere, das Altwerden, der Tod - das ist alles nicht das Letzte, nicht das Ziel, nicht Mitte und der Sinn. Freiheit von Lebensangst, von kleiner bedrückender, auf den Tag schauender Sorge ist die königliche Freiheit der Kinder Gottes. Es lohnt sich einen Schatz im Himmel zu haben. Denn wo euer Schatz ist, da ist euer Herz.

 

Pfarrer Hans Georg Schmid aus Nordhausen